Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V.
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21.03.2016
Im Rahmen des Projekts „Politische Partizipation ohne Wahlzettel“ gaben zahlreiche in Sachsen-Anhalt lebende Migrant*innen am 11. März in insgesamt 16 Wahllokalen sowie per Briefwahl symbolisch ihre Stimme für eine Partei ab. Die Probewahlen hat LAMSA in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung organisiert. Das Ergebnis der Stimmverteilung ist bereits am Freitag veröffentlicht worden.
Wir wissen das große Interesse der Medien und der Öffentlichkeit an den Ergebnissen wie auch Beteiligungsquoten unserer Probewahl sehr hoch zu schätzen. Für uns als Organisation stehen jedoch neben den zweifelsohne interessanten Ergebnissen die Prozesse im Vorfeld und Nachgang der Wahl im Vordergrund, so dass wir nicht jedes Detail zu diesem Zeitpunkt veröffentlichen möchten. Politische Partizipation von Migrant*innen ist unser Ziel und jede*r, den/die wir erreichen können, ist uns wichtig. Unser verhältnismäßig eher kleines Projekt war daher nicht vordergründig darauf ausgelegt, eine möglichst hohe Beteiligung zu erreichen. Vielmehr geht es darum, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Partizipation von Migrant*innen verbessert werden kann und wie unser Wille zur Partizipation in der gesamten Gesellschaft wahrgenommen wird. Eine wichtige Erkenntnis aus den Prozessen im Vorfeld, gewonnen aus den hoch emotionalen Debatten über den symbolischen Aussagewert unserer Wahl, ist die, dass das Thema "Wahlrecht für Migrant*innen" die fortschreitende Polarisierung der Gesellschaft widerspiegelt: Wir wurden überrascht von zahlreichen solidarischen Bekundungen, aber auch von krassesten Ablehnungen (Hassmails, Zumauern des Wahllokals, Vorwurf des Wahlbetrugs). Dieses Projekt war für uns eine neue Erfahrung und wir möchten sorgsam mit den Ergebnissen umgehen, in einen Dialog mit Fachleuten verschiedener Richtungen eintreten und für uns die Zeit finden, das Projekt in Ruhe auszuwerten.
Nun möchten wir weiterführende Informationen zu den Ergebnissen bekannt geben:
1. Regionale Unterschiede: In den Städten und Landkreisen Halle, Dessau-Roßlau, Burg und Merseburg wurden über 60 % der gesamten Stimmen abgegeben. Beispielsweise wurde die Partei „Die Linke“ in Burg die stärkste Kraft mit fast 55% der abgegebenen Stimmen. Es folgt die SPD mit 21,11% und die CDU mit 15,56%. In Merseburg erreichte die SPD die absolute Mehrheit mit 53,33%, gefolgt von den Grünen mit 42,22%. Die CDU und Die Linke erhielten dagegen jeweils 2,22%. In Halle wiederum bekam die CDU mit 63,04% die absolute Mehrheit, die Linke erhielt nur 9,78% sowie die SPD 11,96% und die Grünen 10,97 %.
2. Politische Beteiligung durch Migrantenorganisationen: In den oben genannten Städten und Landkreisen mit hervorragender Wahlbeteiligung sind die Migrantenorganisationen (MO) besonders gut vernetzt. Die funktionierenden MO aktivieren ihre Mitglieder vor Ort und zeigen damit einmal mehr ihre integrative Kraft. Ausgenommen ist die Landeshauptstadt Magdeburg mit einer sehr geringen Wahlbeteiligung.
3. Starke Beteiligung der seit Kurzem hier lebenden Zugewanderten: die Migrant*innen, die seit weniger als fünf Jahren in Sachsen-Anhalt leben, haben sich unerwartet aktiv an der Probewahl beteiligt. Der Anteil dieser Personengruppe macht fast 63% der Wähler*innen aus. Die niedergelassenen Migrant*innen dagegen, die länger als 10 Jahre hier leben, gaben mit 20% der Gesamtstimmen den kleineren Teil ab.
4. Großes Interesse der Migrant*innen an Politik: Wir stellen fest, dass Menschen, die seit weniger als fünf Jahren hier leben, stark an politischer Teilhabe interessiert sind. Dies bestätigt unsere Erfahrungen aus der Integrationsarbeit in Sachsen-Anhalt, dass die relativ neu Zugezogenen Vereine und Initiativen gründen und sich aktiv engagieren wollen. Die Mitgliederzahl des Landesnetzwerkes ist in den letzten drei Jahren um fast 30% gewachsen.
5. Beteiligung der Drittstaatsangehörigen: Bei der Wahl haben sich die sogenannten Drittstaatsangehörigen stark beteiligt. Fast 84% der Stimmen kamen außerhalb von EU-Staaten. Dies interpretieren wir als klares Signal, dass diese Personengruppe an politischer Teilhabe und demokratischer Auseinandersetzung interessiert ist.
6. SPD stark bei den EU-Bürger*innen: Die Wahler*innen aus den EU-Staaten haben mit 38 % der Stimmen überwiegend die SPD gewählt. Dagegen ist bei den Drittstaatsangehörigen die CDU mit 38% die stärkste Kraft. Erstaunliche Differenzen zeigen die Ergebnisse der Linken: von den EU-Bürger*innen erhielt sie 13% der Stimmen, von den Drittstaatangehörigen jedoch 23%.
7. Partei-Vielfalt bei den EU-Bürger*innen: 16% der Stimmen der EU-Bürger*innen gingen an die folgenden Partei: AfD, ALFA, Die Rechte, FDP, Tierschutzallianz, Magdeburger Gartenpartei. Die Drittstaatangehörigen gaben nur 2,7% ihrer Stimmen an diese Parteien.
8. Geschlechterdifferenz: Es ist festzuhalten, dass deutlich mehr Männer (79% der Gesamtstimmen) wählten als Frauen.
9. Altersdurchschnitt: Alle Altersgruppen aus der Migrationsgesellschaft haben sich an der Probewahl beteiligt. Besonders starke Beteiligung zeigte die Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren mit ca. 43%. Der älteste Wähler war ein 87jähriger Mann.
10. Einzigartiges Vorhaben: Die Probewahl wurde in dieser Form in Sachsen-Anhalt erstmalig durchgeführt; auch aus anderen Bundesländern sind derartige Wahlen kaum bekannt.
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